“Lernen ist wie Rudern gegen den Strom: Sobald man aufhört, treibt man zurück.“
– Xunzi –
Das medizinische Wissen wächst rasant. Entsprechend ist für Ärzt:innen mit dem Büffeln nach Universitätsstudium und fachärztlicher Weiterbildung noch lange nicht Schluss. Vor über 20 Jahren wurde als Maßnahme zur Qualitätssicherung im Gesundheitswesen die verpflichtende Fortbildung für die Ärzteschaft gesetzlich festgeschrieben. Technischer Fortschritt und gesetzliche Auflagen verändern die Möglichkeiten der kontinuierlichen ärztlichen Fortbildung (Continuing Medical Education, kurz CME). Deren Organisation und Finanzierung sind dabei ein dauerhafter Kritikpunkt. Denn pharmazeutische Unternehmen sponsern zertifizierte Fortbildungen, was Kritiker:innen als Widerspruch zur Freiheit von wirtschaftlichen Interessen ansehen. Wir sprachen mit David Friedrich-Schmidt, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), zu aktuellen Trends und den Herausforderungen für die ärztliche Fortbildung der Zukunft.
Mit dem Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) vom 1. Januar 2004 wurde die Fortbildungspflicht für Ärzt:innen für neue und alte Bundesländer verbindlich. Seitdem müssen Ärzt:innen über den Zeitraum von fünf Jahren mindestens 250 sogenannte CME-Punkte erwerben. Die zuständige Ärztekammer erteilt das entsprechende Fortbildungszertifikat als Nachweis gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung. Wird die Fortbildungspflicht nicht erfüllt, müssen Ärzt:innen mit Honorarkürzungen rechnen.
Die begehrten Fortbildungspunkte können Ärzt:innen durch Teilnahme an verschiedenen Maßnahmen und Veranstaltungen erlangen. Dabei sind zertifizierte CME in zehn verschiedene Kategorien eingeteilt. Die Teilnahme an mehrtägigen Kongressen im In- und Ausland, Workshops und Hospitationen gehören ebenso dazu wie die Publikation wissenschaftlicher Veröffentlichungen. Die berufsbegleitende Fortbildung bleibt eine Herausforderung. Daher sind Fortbildungsbeiträge in Printmedien oder als elektronisch verfügbare Version und Online-Fortbildungsmaßnahmen mit Lernerfolgskontrolle beliebte Alternativen zur Präsenzschulung.
Seit Mai 2024 liegt eine vom Deutschen Ärztetag verabschiedete Novelle zur Musterfortbildungsordnung vor. Sie sieht strengere Regeln für das Sponsoring von Fortbildungsveranstaltungen vor als bisher. Demnach dürfen die Inhalte der Fortbildungsmaßnahmen von Sponsoren weder vorgegeben noch beeinflusst werden und Anbieter nicht wirtschaftlich abhängig vom Sponsor sein. Inhalte und Marketingaktivitäten müssen klar voneinander getrennt sein, wobei Ärzt:innen als wissenschaftliche Leiter sicherstellen müssen, dass die Fortbildung neutral und interessenunabhängig ist.
Wie Fortbildungsveranstaltungen aktuell konzipiert werden und wie sich die Zukunft der ärztlichen Fortbildung gestalten kann, berichtet uns David Friedrich-Schmidt, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e.V. im Interview.
Interview David Friedrich-Schmidt; Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) mit 13.000 Mitgliedern fördert die medizinischen und interdisziplinären Belange des Fachgebiets. Im Bereich der ärztlichen Weiter- und Fortbildung ist die DGN besonders aktiv, wie ihr Geschäftsführer David Friedrich-Schmidt berichtet.
Herr Friedrich-Schmidt, was bietet die DGN in Sachen Fortbildung an?
David Friedrich-Schmidt (D. F-S): Einerseits haben wir unseren Jahreskongress in Berlin. Ungefähr 50 Prozent des Programms werden von unserer Fortbildungsakademie bestückt. Es gibt klassische Vorlesungen, in denen man die großen Themen der Neurologie abhandelt. Dann veranstalten wir auf dem Kongress sogenannte Skills Labs, wo man Fertigkeiten erlernen kann, wie z. B: Untersuchungstechniken. Unterjährig bieten wir sechs bis acht Facharztrepetitorien an. Das sind spezielle Vorbereitungskurse für die Facharztprüfung, die hybrid deutschlandweit ausgerollt werden. Man kann von überall online teilnehmen. Auch diese Veranstaltungen sind CME-zertifiziert. Dann machen wir noch zwei bis drei Veranstaltungen Neurologie Kompakt. Das sind mehrtägige CME-zertifizierte Veranstaltungen zur Fortbildung zu aktuellen Themen der Neurologie. Auf unserem Kongress generieren wir sogenannte eLearning-Module, also Vorträge mit Lernerfolgskontrolle. Und dann haben wir noch im Bereich Fortbildung klassischerweise unsere Zeitschriften mit CME-Artikeln. Wir kooperieren mit der Industrie ausschließlich bei unserem Kongress, alle anderen Fortbildungsveranstaltungen, die wir anbieten, sind komplett frei von Industriesponsoring.
Was sind ihre aktuellen Projekte?
D. F-S: Aktuell erarbeiten wir ein Konzept in die Richtung, dass wir ein Online-Fortbildungsportal aufbauen wollen, in das alle unsere Fortbildungen einfließen und Online-Fortbildungen on top kommen. Ärzt:innen können Einzelmodule buchen, Abos abschließen und sich über ein Jahr konsequent fortbilden.
Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die neue Musterfortbildungsordnung?
Sie hat eine gewisse Dynamik hereingebracht, weil wir damit rechnen müssen, dass unsere Kongresse ab 2025 vermutlich nicht mehr CME-zertifiziert werden. Wir müssen unseren Mitgliedern und anderen interessierten Neurolog:innen Alternativangebote unterbreiten. Der Fortbildungsmarkt wird komplett umgestaltet.
Welche Formate sind bei den Neurolog:innen besonders beliebt?
D. F-S: Beliebt sind immer Cases. Wir haben da Formate wie „Der lehrreiche Fall“ oder Veranstaltungen, wo ein Video gezeigt wird und gemeinsam die Diagnose gestellt wird, womit dann der Fortbildungscharakter gegeben ist. Alles, was interaktiv und medial mit Videos, Fotos und Patient:innen funktioniert, ist sehr beliebt. Beim Kongress ist „Der Therapiekurs“ unsere erfolgreichste Veranstaltung. Sie geht über drei Tage. Eine Session pro Tag, dreimal 90 Minuten. Hier werden die Hauptindikationen der Neurologie abgeklopft wie Schlaganfall, Multiple Sklerose und Parkinson. Die großen Krankheiten, zu denen immer aus dem Therapiefokus heraus berichtet wird. Immer up to date, jedes Jahr aktualisiert. Da sind immer 2.000 Leute im Saal und 2.500 online dabei.
Wie sieht das Feedback der Neurolog:innen auf die Veranstaltungen aus?
D. F-S: Neurolog:innen sind da schon sehr klar: Wenn ihnen etwas nicht passt, dann sagen sie das auch sehr deutlich. Die Idee für das Online-Fortbildungsportal, um Fortbildung ganzjährig anzubieten, ist eine Folge dieser Rückmeldung.
Wo liegen die Trends der Zukunft?
D. F-S: Die Ärzt:innen wollen ein durchgängiges Angebot im Jahr haben und nicht nur auf wenige Termine fixiert sein. Wir haben viele Veranstaltungen, wo wir Content generieren können. Wir würden das gerne alles CME-fähig machen, aber es scheitert eben dann an den Kategorien der Ärztekammern. Es ist technisch möglich, aber die Kategorien geben das leider nicht her. Hier besteht ein dringender Reformbedarf. Im Moment findet z. B. eine Veranstaltung an einem bestimmten Datum von 14 bis 18 Uhr statt. Ärzt:innen, die sich fortbilden lassen wollen, müssen sich diesen Zeitraum völlig freihalten. Viel cooler wäre doch, wenn ein Arzt oder eine Ärztin am Sonntagnachmittag Zeit hat, weil die Familie gerade im Schwimmbad ist und sich von zuhause aus fortbilden kann.
Wie sieht aus Ihrer Sicht die ideale CME-Fortbildung aus?
D. F-S: Also ich finde, dass sie nicht in die Hände von privatwirtschaftlichen Unternehmen oder der Pharmaindustrie gehört. Denn ich glaube, dass es da immer ein Bias geben kann. Die einzigen, die sich wirklich thematisch und unternehmerisch unabhängig machen können, sind die Fachgesellschaften. Also wie sieht die ideale Fortbildung aus? Hybrid. Digital, wo es nur geht. Ohne zeitliche Einschränkungen. Jederzeit von jedem Ort verfügbar. Dann hätten die Ärzt:innen in Deutschland ein echt gutes Angebot.
Autor
Dr. Michael Wenzel, Medical Director