Antikörper bleiben bahnbrechend

Therapeutische rekombinante Antikörper sind als präzise wirkende Arzneistoffe aus der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken. Seit 2010 gibt die Artikelserie „Antibodies to watch“ einen Überblick zu den Neuzulassungen. Der aktuelle Bericht beschreibt die 2025 zu erwartenden Innovationen und zeigt den Trend zur Variation des natürlichen Wirkprinzips für die Entwicklung neue Therapieansätze auf.

Die Zahl der rekombinanten Antikörper in späten klinischen Entwicklungsphasen ist zwischen 2010 und 2025 von 26 auf aktuell 178 angestiegen. Mit dem 9. Dezember 2024 als Stichtag befinden sich 30 Antikörpertherapeutika weltweit in einem Zulassungsverfahren. Davon beziehen sich 16 Anträge auf die Zulassung in nicht-onkologischen Indikationen und 14 auf Anwendungen in der Onkologie. Bei den meisten Therapeutika handelt es sich um klassische monospezifische Antikörper, die nur auf eine spezifische Struktur abzielen. Aktuell in der EU zur Begutachtung stehende Präparate dieser Art sind:

  • Garadacimab, ein im Scharnierbereich stabilisierter, gegen den Gerinnungsfaktor XIIa gerichteter humaner IgG4l-Antikörper zum Einsatz bei Hereditärem Angiödem
  • Nipocalimab, ein humaner, aglykosylierter monoklonaler IgG1λ-Antikörper, der auf den neonatalen Fc-Rezeptor (FcRn) abzielt. Dieses Zielprotein ist für die Regulierung der IgG-Antikörperspiegel im Blutkreislauf verantwortlich. Durch die Blockade von FcRn erhöht Nipocalimab die zirkulierenden IgG-Antikörper und kann auf diese Weise eine Überaktivität des Immunsystems bei Autoimmunerkrankungen, wie z. B. generalisierter Myasthenia gravis, verringern.
  • Vilobelimab, ein chimärer IgG4k-Antikörper zur Behandlung des SARS-CoV-2-induzierten septischen akuten Atemnot-Syndroms
  • Sipavibart, ein humaner IgG1λ-Antikörper, der gegen das Spike-Protein von SARS-CoV-2 gerichtet ist. Sipavibart wurde aus B-Zellen von Patienten nach einer SARS-CoV-2-Infektion gewonnen und kann das Risiko einer Antikörper-abhängigen Verstärkung von Infektionen minimieren.
  • Clesrovimab ist ein humaner monoklonaler IgG1κ-Antikörper zur Vorbeugung von Infektionen mit dem respiratorischen Syncytial-Virus (RSV) bei Säuglingen und gefährdeten Bevölkerungsgruppen wie älteren Erwachsenen. Clesrovimab neutralisiert das F-Proteins des Virus, das für den Eintritt des Virus in die Wirtszellen unerlässlich ist. Die Halbwertszeit wurde durch gezielte Mutationen verlängert, so dass das Medikament einmal pro RSV-Saison verabreicht werden kann.

 

Im Trend: Antikörpervarianten 

Inzwischen sind etwa 30 Prozent der rekombinanten Antikörper in der klinischen Prüfung nicht-klassische Varianten. Dazu gehören zum Beispiel bi- oder multispezifische Antikörper, die zwei oder mehrere Strukturen binden können. Eine besondere Variante sind Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, bei denen ein Antikörper mit einer zytotoxischen Substanz gekoppelt ist. Hierzu gehören auch Immunzytokine, die aus einem Antikörper und einem Zytokin als wirksamer Komponente bestehen. Aktuell werden in der EU begutachtet:

  • Linvoseltamab, ein im Scharnierbereich stabilisierter, bispezifischer IgG4κ-Antikörper, der auf das B-Zell-Reifungsantigen (BCMA) und das Antigen CD3 auf der Oberfläche von T-Zellen abzielt. Durch die Bindung bringt das Antikörperkonstrukt BCMA-exprimierende Krebszellen in die räumliche Nähe von CD3-exprimierenden T-Zellen und ermöglicht den T-Zell-vermittelten Zelltod der Krebszellen. Linvoseltamab wurde für den Einsatz beim Multiplen Myelom entwickelt.
  • Datopotamab deruxtecan, kurz Dato-DXd, wurde für die Behandlung von Brust- und Lungenkrebs entwickelt. Das Konjugat besteht aus einem humanisierten IgG1κ-Antikörper, der gegen das Anti-Trophoblasten-Zelloberflächen-Antigen 2 (TROP2) gerichtet ist, und einem Topoisomerase-I-Inhibitor als gegen Tumorzellen wirksame Komponente.
  • Bifikafusp alfa und Onfekafusp alfa sind die Komponenten einer zur Behandlung von Hautkrebs entwickelten Immunzytokinmischung. Beide Immunzytokine enthalten das Antikörperfragment L19, das auf die sogenannte Extra-Domäne B von Fibronektin abzielt, die nahezu ausschließlich von Tumorzellen exprimiert wird. In Bifikafusp alfa ist L19 mit Interleukin-2 fusioniert, in Onfekafusp alfa mit dem Tumornekrosefaktor.

Das wachsende Know-how in der Entwicklung und der hohe Bedarf an innovativen Behandlungsoptionen in diversen Indikationsbereichen sorgen für eine stabile Antikörper-Pipeline. Das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Weg von der klinischen Prüfung zu den Patient:innen ein hochselektiver Prozess bleibt, wie „Antibodies to watch“ in einer Analyse verdeutlicht: So gelingt der Sprung von der Prüfsubstanz in der klinischen Phase III bis zum marktreifen Produkt in der Gruppe der bi- und multispezifischen Antikörper in 90 Prozent aller Fälle. Schlusslicht sind Radioimmuntherapeutika, die die Selektivität der Antikörper mit strahlentherapeutisch wirksamen Substanzen verbinden. Sie erleben nur zu 50 Prozent die Marktreife.

 

Quelle:

Crescioli S et al. Antibodies to watch in 2025. Mabs. 2025;17:2443538

 

Autor

Dr. Michael Wenzel, Medical Director

 

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