Zugegeben, man wird älter. Kaum merklich verändert sich der Körper und eines Tages ist er so verändert, dass man ärztliche Hilfe benötigt, um im Gleichgewicht zu bleiben – ob körperlich oder seelisch. Die längere Lebenserwartung in den Industrieländern rückt den Gedanken einer Präventivmedizin in den Fokus, die mit Hilfe moderner Technologien die Gesundheit erhalten und verbessern kann. Es liegt nahe, dass die Verlagerung von Gesundheitsdienstleistungen hin zu proaktiven Ansätzen zunehmen wird. Denn Impfungen oder andere präventive Maßnahmen versprechen langfristige Gesundheitsvorteile und eine langfristige Kostensenkung für die Behandlung vermeidbarer Krankheiten.
Selbstbestimmt im Alter mit smarter Technik
Das Phänomen der alternden Bevölkerung erhöht unweigerlich den Druck auf die Gesundheitssysteme. Innovative Lösungen, die es älteren Menschen ermöglichen, länger in ihren eigenen vier Wänden zu leben, anstatt einen Platz in Pflegeheimen und anderen Einrichtungen zu beanspruchen, werden in den Vordergrund rücken. Das Smarthome ist ein Trend in der Haustechnik, in dem zurzeit noch die Sicherheit und Energiesparen im Vordergrund stehen. Was heute noch technische Spielereien sind, die dem eigenen Komfort dienen, verspricht sich eines Tages in Konzepte um Haustechnik und Versorgung zu verwandeln, die ältere und/oder kranke Menschen in die Lage versetzen können, ein so weit wie möglich selbstbestimmtes Leben im eigenen Heim zu führen.
Neue Technologien, breiter gedacht
Das kontinuierliche Glucose Monitoring (CGM) bei Diabetes macht es vor: Die Smartwatch oder Wearables sind längst Teil der Produktwelt, zu der Patient:innen mit der Verschreibung eines Medikaments, hier zum Beispiel Insulin, Zugang bekommen. Die ständigen Gesundheitsbegleiter ermöglichen Frühwarnungen bei Gesundheitsgefahren und schnelles Eingreifen bei drohenden Entgleisungen. Die Künstliche Intelligenz (KI) in ihren vielen Facetten wird bei der langfristigen Beobachtung von Gesundheitsparametern eine zunehmende Rolle spielen. Darüber hinaus können Chatbots und virtuelle Assistenten Patient:innen in jeder Phase ihrer Therapie unterstützen: Sie können die Gesundheitsfragen von Patient:innen beantworten und sie gezielt mit den Informationen verbinden, die sie benötigen, um fundiertere Entscheidungen über ihre eigene Versorgung zu treffen. Die digitalen Helfer können Patient:innen auch hinweisen, ihren Teil der Therapie zu erfüllen, indem sie an die Einnahme von Medikamenten oder an sportliche Aktivitäten erinnern oder bei Therapiemüdigkeit motivieren. Nicht zuletzt kann KI die Kommunikation zwischen Ärzt:innen und Patient:innen oder Patient:innen untereinander effektiver gestalten und ihre Vernetzung verbessern. Das kann unter anderem der psychischen Gesundheit von Patient:innen zugutekommen, die in abgelegenen Gebieten leben.
Blick in das Genom für gezielte Prävention
Die fortschrittlichsten Anwendungen von KI finden sich in der Genomik, wo sie eingesetzt wird, um die DNA von Patient:innen zu analysieren. Bereits heute können bei bestimmten Erbgutkonstellationen individuelle Wege für ein optimiertes Therapieergebnis beschritten werden. Ein Beispiel ist die genetische Analyse zur Unterstützung der Therapiewahl in der Onkologie. Ein schneller Durchblick im komplexen Netzwerk der Patient:innenfaktoren für das individuell richtige Medikament bleibt auch in pharmakologischen Settings wie der Behandlung von Schmerzen, psychologischen oder zentralnervösen Erkrankungen wünschenswert. Was, wenn eine frühzeitige, nichtinvasive Analyse des Erbguts erschwingliche Routine wäre? Sie könnte helfen, potenzielle Krankheiten, noch bevor sie ausbrechen, mit präventiven Maßnahmen von der Lebensstiländerung bis hin zur Medikamententherapie hinauszuzögern oder ganz zu vermeiden.
Verschmelzen der psychischen und physischen Gesundheitsversorgung
Physische und psychische Gesundheitsfürsorge waren lange Zeit relativ isoliert voneinander. Die COVID-19-Pandemie hat jüngst gezeigt, wie eng die Verbindung zwischen körperlichem und geistigem Wohlbefinden auch bei der Überwindung eines Infektionsgeschehens ist. Die Erkenntnisse aus dieser Zeit sind möglicherweise ein Motor des Paradigmenwechsels in der Betrachtung von chronischen Krankheiten. Junge Fachdisziplinen wie die Psychoonkologie setzten sich bereits mit den seelischen Auswirkungen von Erkrankungen auf Betroffene und ihr Umfeld auseinander. Die hier entwickelten Konzepte zur Unterstützung der erkrankten Person und der an ihrer Versorgung beteiligten Personengruppen könnten zukünftig auch als Vorbild für Therapiestrategien bei anderen Erkrankungen dienen.
Autor
Dr. Michael Wenzel, Medical Director
Inspirationsquellen:
Kulkova J et al. Medicine of the future: How and who is going to treat us? Futures 2023; 146:103097.
Attia P. Outlive: The Science and Art of Longevity. Vermilion 2023.
https://www.forbes.com/sites/bernardmarr/2023/10/03/the-10-biggest-trends-revolutionizing-healthcare-in-2024/?sh=3aedb0881d13 (letzter Abruf: 02.04.2024)