Mehr Netflix, weniger Telekolleg

Corona hat die Welt weiterhin fest im Griff. Das hat Auswirkungen auf die Art und Weise wie Healthcare-Unternehmen mit Fachgruppen kommunizieren. Face-to-Face-Interaktionen sind nur noch eingeschränkt möglich. Digitale Medical-Education-Angebote bieten großes Potenzial, die Lücke zu füllen. In Rekordzeit hat die Pharma-Industrie verfügbare Inhalte für digitale Plattformen, virtuelle Kongresse oder Podcast-Serien adaptiert. Nach dem situationsbedingten Aktionismus der letzten Monate gilt es nun, die digitalen MedEd-Formate mit ganzheitlichen Konzepten auf die nächste Stufe zu heben.

Selbstverständlich war der Wandel hin zur Digitalisierung schon lange vor Corona in vollem Gange. Nicht zuletzt bieten digitale Technologien großartige Möglichkeiten, Inhalte auf spannende und präferenzbasierte Weise zu vermitteln. Allerdings haben wir im Bann des technologischen Fortschritts auch zugelassen, dass die Kanalwahl immer mehr ins Zentrum der Kommunikationsplanung gerückt ist. In einer Welt, in der sich alles um Daten, Multichannel und Marktzugang dreht, ist das irgendwie auch verständlich. Doch der Kanal allein ist kein Erfolgsgarant: Nur weil Inhalte auf eine digitale Plattform gestellt oder in einem Podcast angeboten werden, heißt das noch lange nicht, dass die Botschaft auch ankommt. Es gibt Unmengen von Content in nahezu jeder erdenklichen Form. Unternehmen müssen darum kämpfen, dass ihre Botschaft gehört wird – in Zeiten von Covid-19 noch mehr als vorher. Denn gefühlt fluten aktuell alle pharmazeutischen Unternehmen den Markt mit digitalen Angeboten.

Den inneren Türsteher überlisten

Die gute Nachricht: Eine aktuelle Media-Studie, durchgeführt von der Vendus Gruppe und Lifesights, zeigt, dass digitale Informations- und Fortbildungsangebote bei Ärzten hoch im Kurs stehen – bei den jüngeren, wenig überraschend, sogar noch ein bisschen mehr. Die schlechte Nachricht: Nachfrage, Bedarf und Zeit der Ärzte sind über alle Altersgruppen hinweg endlich. Es droht ein Überangebot und für Pharma-Unternehmen die Gefahr, darin unterzugehen. In einer Welt voller Lärm sind Kreativität und Storytelling gefragt, um am inneren Türsteher vorbeizukommen und die Herzen der Zielgruppe zu erobern. Der Content ist König, der Kanal ist die Kutsche, aber Kreativität ist der Katalysator, der beides zeitgemäß, überzeugend und relevant verpackt.

Kreativität ist nicht zwingend gleichbedeutend mit originell, bunt oder laut. Das gilt insbesondere für die Medical Communication, bei der Regularien sowie die Ernsthaftigkeit von Gesundheit und Wissenschaft den Spielraum für radikale Maßnahmen zu Recht einschränken. Hier ist primär gemäßigte Disruption gefragt, d.h. vertraute Elemente auf neuartige, ungewohnte Weise zu kombinieren, um eine bekannte Welt in einem neuen Licht zu präsentieren. Anders gesagt: Kreativität ist die Kunst, Ihre Inhalte an das Publikum und die Kanäle anzupassen. So ragen Sie aus der Masse heraus, ohne zu (ver)stören oder Ihre Glaubwürdigkeit zu gefährden.

Weniger ist mehr

Um Gehör zu finden, bedarf es zudem Disziplin und einer realistischen Einschätzung, in welchem Maße sich die Zielgruppen mit den Botschaften auseinandersetzen können und wollen. Unternehmen verfügen naturgemäß über sehr umfangreiches Wissen zu ihren Indikationsbereichen, Produkten und relevanten Studien. Es ist daher nur konsequent, dass sie möglichst viel davon mitteilen möchten. Vor lauter Begeisterung für die eigenen Themen verlieren sie jedoch manchmal aus dem Blick, dass die Zielgruppe das vielleicht gar nicht alles wissen möchte. Schon recht, Wissenschaft ist komplex und multifaktoriell. Aber seien Sie mutig und konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche. Es muss nicht immer das 5-Gänge Menü sein. Ein kleiner, gut gemachter Wissens-Snack für zwischendurch kann sehr befriedigend sein, nachhaltig im Gedächtnis bleiben und Lust auf mehr machen.

Der ultimative MedEd-Serienmarathon

Richtig rund wird es, wenn die knackigen Snacks mit gehaltvollen geistigen Gerichten zu einem attraktiven Menü à la carte kombiniert werden. Zeitgemäße Medical Communication besteht nicht aus einzelnen Destinationen, sondern aus einer Erlebnisreise, bei der sich der Kunde immer schon auf die nächste Etappe freut. Erzählen Sie eine übergreifende Geschichte und unterteilen Sie diese in spannende Episoden auf zeitgemäßen Kanälen. Netflix statt Telekolleg. Das Ziel: der ultimative Medical Education Serienmarathon.

Autor

Ingo Theissen, ehem. Member of Managing Board
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Erschienen in: Pharma Relations 11/2020

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