Es ist ein Buzzword der Stunde: Purpose Driven Marketing. Für die Healthcare-Branche stecken darin Chancen zur Stärkung von Reputation und Marke. Patientenorientierte „Beyond the Pill“-Angebote können den jeweiligen gesellschaftlichen Beitrag transportieren. Kooperationen mit Influencern helfen, solche Angebote in der Zielgruppe zu verankern.
Wir leben in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs. Soziale, ökologische und gesundheitliche Herausforderungen verlangen nach neuen Denkmustern und nachhaltigen Lösungen. Immer mehr Menschen möchten einen wertstiftenden Beitrag leisten, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Dafür steht der Begriff Purpose – der Zweck und die Bestimmung des Tuns. Start-ups entstehen oft aus einem konkreten Zweck heraus. Sie wollen etwas besser oder anders tun, einen ungedeckten Bedarf bedienen oder für bestimmte Werte einstehen. Viele etablierte Unternehmen dagegen haben die Frage, warum es sie gibt und welchen gesellschaftlichen Beitrag sie leisten, aus den Augen verloren.
Brands wie Nike, Patagonia oder Unilever haben das erkannt. Denn Produkte wie Sneaker, Jacken, Eiscreme und Co. mögen stylish und lässig sein, die Welt werden sie kaum verändern. Daher rücken die Werte und die Haltung der Brands stärker in den Fokus. Dabei geht es jedoch um mehr als Kommunikation, es geht um das unternehmerische Handeln als Ganzes.
Wie kann Pharma Purpose zeigen?
Die Pharmabranche hat gegenüber anderen zugleich einen Vorteil und einen Nachteil. In positiver Hinsicht, sind der gesellschaftliche Zweck und die Motivation der Produkte unverkennbar: die Versorgung und die Lebensqualität von kranken Menschen zu verbessern. So gesehen hat die Pharmaindustrie im Großen und Ganzen also schon lange Purpose Driven Marketing betrieben, bevor der Begriff in Mode kam.
Auf der anderen Seite: wenn es um das hohe Gut der menschlichen Gesundheit geht, ist der moralische Kompass der Gesellschaft besonders empfindlich. Während es etwa bei überteuerten Turnschuhen weithin akzeptiert scheint, dass die Hersteller damit achtbare Gewinne erzielen – solange sie für die richtigen Werte einstehen – sieht das bei Medikamenten oft ganz anders aus. Davon zeugen gesellschaftliche Diskussionen zu neuen Therapien und deren Kosten, die oft von großer Ambivalenz und Emotionalität geprägt sind. Eine gute Möglichkeit, die unternehmerische Motivation und den gesellschaftlichen Beitrag glaubwürdig hervorzuheben, sind patientenorientierte „Beyond the Pill“-Ansätze.
ZNS-Betroffene haben besondere Bedürfnisse
Neurologische Erkrankungen sind mit hohen psychosozialen Belastungen assoziiert. Patienten erleben eine Verletzung ihrer körperlichen Integrität und müssen mit einem progredienten Verlust der körperlichen Leistungsfähigkeit umgehen. Das kann dazu führen, dass sie ihr Selbstbild und ihre Rolle in der Gesellschaft in Frage stellen. Zudem sind sie dauerhaft abhängig vom medizinischen System. Das kann ein Gefühl der Hilflosigkeit und dauernden Überforderung auslösen.
Selbstbestimmte Patienten, die sich auskennen und sich aktiv in ihre Therapie einbringen können, kommen besser mit der chronischen Belastung und den alltäglichen Einschränkungen durch die Krankheit zurecht.
Smarte, zielgruppengerechte, produktneutrale Informations- und Serviceangebote können die Bedürfnisse der Patienten in den Blick nehmen und ihnen dabei helfen, ihren Alltag zu meistern und ihre Lebensziele trotz Krankheit zu verwirklichen. Für die Umsetzung liegen digitale Technologien oder Kanäle nahe. Dabei zeichnen sich wertstiftende und nachhaltig erfolgreiche Angebote vor allem dadurch aus, dass sie nutzerorientiert, personalisierbar, langfristig gedacht und inhaltlich hochwertig sind.
Relevante Stakeholder einbinden
Dazu empfiehlt es sich, relevante Stakeholder aktiv einzubinden. Das betrifft zum einen Neurologen und Nurses, die ihren Patienten das Angebot empfehlen sollen. Zum anderen sind das Vertreter der Patienten-Community, welche die Bedürfnisse der Betroffenen aus eigener Erfahrung kennen.
Ein Beispiel dafür aus dem ZNS-Themenfeld ist die App Cleo. Sie richtet sich an Menschen mit Multipler Sklerose (MS) und ihre Angehörigen und bietet ihnen umfangreiche, personalisierte Informationen und Services. Um die realen Bedürfnisse und Wünsche der Anwender bestmöglich zu erfüllen, wurde sie unter Mitwirkung von Patienten und Experten entwickelt.
Strategisch empfiehlt sich Co-Creation, also die Einbindung der jeweiligen Community, auch über die initiale Projektentwicklung hinaus. Nach dem Launch soll die betreffende Initiative schließlich nachhaltig in der Zielgruppe ankommen. Dabei hilft die Zusammenarbeit mit relevanten Influencern zum Thema. In vielen Indikationen gibt es aktive Communities, deren User einen regen Austausch untereinander pflegen.
Interessant sind Influencer mit hoher Glaubwürdigkeit und einem klaren Purpose. Geht es um chronische Erkrankungen wie MS, sind das meist Betroffene, die offen über ihr Leben mit der Erkrankung sprechen. Sie helfen anderen Patienten, indem sie ihre Erfahrungen teilen, von Erfolgen und Rückschlägen berichten oder Einblicke in ihren Alltag und ihre Lebenspläne geben. Nicht selten werden sie zu einer Art Vorbild für andere Betroffene.
Auch wenn noch keine direkte Zusammenarbeit mit Influencern geplant ist, sollten Unternehmen diese Gruppe schon im Blick haben. Ein sogenanntes Influencer-Mapping und ein Monitoring bieten sich unbedingt an, um zu verstehen, wer in den sozialen Kanälen aktiv ist oder welche Themen und Bedürfnisse die Community besonders bewegen.
Eine Kooperation mit ausgewählten Influencern einzugehen, kann sinnvoll sein, um beispielsweise eine App, ein Thema, ein Event oder ähnliches zu promoten. Längerfristige Partnerschaften sind denkbar, um einen kontinuierlichen Austausch zu pflegen, gemeinsam Inhalte und Services zu kreieren, virtuelle Events durchzuführen oder Informationen mit der Community zu teilen.
Grundsätzlich gilt: Entscheidend für erfolgreiches Purpose Driven Marketing sind Glaubwürdigkeit und Authentizität. Beides Eigenschaften, die das Unternehmen mitbringen sollte. Die richtigen Influencer als Verstärker können helfen, wertstiftende Angebote ins Blickfeld der Betroffenen zu rücken. So werden Influencer zu Sinnfluencern.
Autor
Ingo Theissen, Member of Managing Board
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Erschienen in: Healthcare Marketing 04/2020